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1861: Die Beziehungen zwischen Russland und Österreich-Ungarn
sind nach dem Krieg Russlands gegen die Türkei auf der Krim angespannt,
weil sich die Donaumonarchie auf die Seite der Osmanen gestellt hat.
Kaiser Franz Josef und Zar Nikolaus beschließen,
eine Wiederannäherung ihrer beiden Länder durch ein technisches Austauschprogramm zu fördern.

Der aus Linz stammende Ingenieur Peter (Pjotr Simonowitsch) Welser
reist in die an den Ausläufern des Ural gelegene Kleinstadt Mirsk,
um hier am Bau einer Eisenbahntrasse mitzuwirken.
Der Beginn seines Aufenthalts fällt mit einer wachsenden politischen Unruhe
und mit der Ermordung eines Ladenmädchens zusammen.
Die Zeit in Mirsk wird für ihn wie auch für einige Bewohner des Städtchens zum Wendepunkt des Lebens.

Ein Ausschnitt aus der Präsentation am 20. Jänner 2020 in Linz.

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LESEPROBE

Mittwoch, 10. Mai 1861

Pjotr

Langsam rollte der Zug in den Bahnhof und hielt an.
Der Morgen war mild und leicht wolkenverhangen.
Für kurze Zeit verbarg der Rauch der Lokomotive das dahinterliegende Städtchen.
„Mirsk, Endstation!“, rief eine heisere Stimme. Pjotr richtete sich auf.
Er überlegte kurz, dann griff er in die Innentasche seiner Jacke
und nahm einen Schluck aus dem metallenen Fläschchen.
Dann stand er auf, schulterte seinen Rucksack und hob den Koffer aus dem Gepäcksnetz.
Er trat aus dem Abteil auf den Gang des Waggons und von der Plattform hinunter auf den Bahnsteig.
Hinter dem backsteinernen Stationsgebäude sah er die Häuser der kleinen Stadt,
die mit dem Bahnhof durch eine kurze, mit Birken gesäumte Allee verbunden waren.
Das Stationsgebäude selbst wurde von der im frischen Grün schimmernden Krone einer hohen Linde überragt.
Auf seiner linken Seite war ein Lokschuppen in Bau.
Auf seiner rechten standen – durch eine Straße von diesem getrennt –
mehrere Fabrikhallen und Mietskasernen.
Pjotr nahm seinen Koffer und trug ihn zum überdachten Vorbau,
wo ihn der Oberingenieur der Eisenbahngesellschaft erwarten sollte.
Ein sorgfältig gekleideter, etwa fünfzigjähriger Mann trat auf ihn zu.

„Herr Ingenieur Welser?“
„Ja.“
„Ich bin Oberingenieur Wolkow. Herzlich willkommen in Mirsk.
Es ist mir eine Freude, Sie bei uns zu haben.“ Er schüttelte ihm die Hand. „Wie ist Ihr Vorname?“
„Peter.“ Er korrigierte sich. „Pjotr.“
„Und der Name Ihres Vaters?“
„Simon“, sagte Pjotr.
„Dann werde ich Sie Pjotr Simonowitsch nennen.“
„Wie es Ihnen beliebt, Exzellenz.“
„Nennen Sie mich Iwan Iwanowitsch. Ich mag Formalitäten nicht!“

Sie betrachteten einander.
Wolkow war ein groß gewachsener Mann mit breiten, kräftigen Schultern,
stämmigem Oberkörper und ergrautem Vollbart.
Seine Weste spannte über seinem Bauch.
Die Augen hinter den runden Brillengläsern blickten freundlich und neugierig.
„Ihr Russisch ist ausgezeichnet!“, stellte der Oberingenieur fest.
„Zu meinem Bedauern“, erwiderte Pjotr, „bin ich etwas außer Übung.“

In den Tagen, seit er sich auf russischem Boden befand,
hatte er sich wieder mehr und mehr an das russische Idiom gewöhnt.
In den beiden Wochen vor seiner Abreise aus Linz hatte er mit seiner Mutter und den Geschwistern
fast ausschließlich Russisch gesprochen, um sein Gefühl für die Sprache wiederzufinden.
Während der Reise war er überrascht gewesen,
wie flüssig seine Sätze trotz des in den letzten Jahren immer selteneren Gebrauchs waren.
Zuweilen fehlte ihm das Verständnis einzelner Wörter –
der russische Begriff war ihm entfallen oder gänzlich unbekannt,
sodass er auf das Wörterbuch, das er mitgenommen hatte, zurückgreifen
und bestimmte Ausdrücke nachschlagen musste.

„Das wird schon werden“, entgegnete Wolkow. „Ist Ihre Reise gut verlaufen?“
„Ja.“
Wolkow nickte. „Wir haben Sie bei Natascha Arkadjewna Denissowa untergebracht.
Die Wohnung wird Ihnen gefallen. Sie umfasst ein Wohn- und ein Schlafzimmer.
Natascha Arkadjewna ist eine umsichtige Zimmerwirtin. Sie ist Witwe.
Ihr Mann war als Ingenieur bei unserer Gesellschaft tätig,
aber er ist vor zwei Jahren bei einem Unglück ums Leben gekommen.
Seitdem muss sie sich mit ihren beiden Kindern allein durchschlagen.“
Er hustete und wischte sich dann mit einem großen Taschentuch über die verschwitzte Stirn.
„Kommen Sie“, forderte er Pjotr auf, „ich bringe Sie zuerst dorthin.
Heute Abend essen Sie mit mir und den Kollegen im Schwan.
Das Dienstliche besprechen wir morgen früh. Hier in diesem Gebäude“ –
er zeigte auf einen Backsteinbau links neben dem Bahnhofsgebäude –
„befinden sich unsere Arbeitsräume. Im ersten Stock.“
Er wies nach oben.
„Sie werden sie morgen sehen. Dahinter sind das Magazin und der Stall für die Pferde.“
Sie gingen zur Rückseite der Station, wo sie eine Kutsche erwartete.
„Wladimir!“, rief Wolkow einem neben den Pferden stehenden Alten zu,
„du nimmst das Gepäck des Ingenieurs!“
Dieser trat hinzu, verneigte sich vor Pjotr und ergriff dessen Koffer.
„Den Rucksack auch!“, befahl Wolkow.
„Bemühen Sie sich nicht!“, erwiderte Pjotr. „Ich kann …“
Wolkow beachtete ihn nicht.
„Vorsicht mit dem Koffer“, brummte er, an den Alten gewendet.
Dieser stieg auf den Kutschbock, verstaute Pjotrs Gepäckstücke neben sich auf der Bank
und setzte sich, während Wolkow und Pjotr auf der Bank hinter ihm Platz nahmen.
„Zu Natascha Arkadjewna!“, rief Wolkow, während er sich zurücklehnte.
Der Alte schnalzte mit der Zunge,
die Pferde – zwei Stuten von graubrauner Farbe, um die Fliegen schwirrten –
setzten sich langsam in Bewegung. Vom Boden der Straße wirbelte Staub auf.

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Informationen zum Buch

Konrad Peter Grossmann
DIESE UNSTILLBARE SEHNSUCHT
Roman

ISBN 978-3-903259-12-6
Verlag am Sipbach
1. Auflage Jänner 2020
Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen,
744 Seiten, € 38,50

 

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